Aufgabe: Lesen Sie den Text von Adam Smith – sprachlich ist diese Fassung aus dem Jahre 1905 etwas ungewohnt. Prüfen Sie dann Ihr Textverständnis mit der Übung unten. Sichern Sie das (richtige) Ergebnis in Ihren Unterlagen.

Adam Smith

Zur Einfuhr von Waren

Bei jedem klugen Hausvater ist es Grundsatz, niemals etwas im Hause machen zu lassen, was er billiger kaufen kann. Der Schneider macht sich seine Schuhe nicht selbst, sondern kauft sie vom Schuhmacher; der Schuhmacher macht sich seine Kleider nicht, sondern beschäftigt den Schneider; und der Bauer macht weder das eine noch das andere, sondern gibt den beiden Handwerkern zu tun. Sie alle finden es in ihrem Interesse, ihren ganzen Fleiß auf dasjenige zu verwenden, worin sie etwas vor ihren Nachbarn voraus haben, und mit einem Teile ihrer Erzeugnisse, oder, was dasselbe ist, mit dem Preise eines Teils davon ihren übrigen Bedarf zu kaufen.

Was im Verfahren jeder Familie Klugheit ist, kann in dem eines großen Reichs schwerlich töricht sein. Wenn uns ein fremdes Land mit einer Ware wohlfeiler versehen kann, als wir selbst sie zu machen imstande sind, so ist es besser, dass wir sie ihm mit einem Teile von Erzeugnissen unserer Industrien, in denen wir dem Auslande etwas voraushaben, abkaufen. […] Vorausgesetzt, die Ware könnte vom Auslande wohlfeiler bezogen, als im Lande hergestellt werden, so wäre man imstande, sie bloß mit einem Teile der Waren, oder, was dasselbe ist, einem Teil vom Preise der Waren zu kaufen, welche die mit einem gleich großen Kapital betriebene Industrie im Lande selbst hätte erzeugen können, wenn man sie ihrem natürlichen Laufe überlassen hätte. Die Landesindustrie wird mithin durch jede solche Maßnahme nur von einem mehr oder weniger vorteilhaften Gewerbe abgelenkt, und der Tauschwert ihres jährlichen Produkts muss sich notwendig vermindern, anstatt sich, wie es der Gesetzgeber gewollt hat. zu vergrößern. […]

Die natürlichen Vorteile, welche ein Land in Hervorbringung gewisser Waren vor einem andern voraus hat, sind mitunter so groß, dass es, wie alle Welt zugibt. vergeblich sein würde, dagegen anzukämpfen. In Treibhäusern, Mistbeeten und dergleichen lassen sich in Schottland sehr gute Trauben ziehen und auch recht guter Wein davon gewinnen; nur würde dieser etwa dreißigmal soviel kosten, als ein mindestens ebenso guter Wein des Auslandes. Wäre es ein vernünftiges Gesetz, die Einfuhr aller fremden Weine zu verbieten, bloß um die Erzeugung des Clarets und Burgunders in Schottland zu befördern? Wenn es aber eine offenbare Albernheit wäre, auf ein Gewerbe dreißigmal mehr Kapital und Fleiß zu verwenden, als nötig ist, um eine gleiche Menge der begehrten Waren aus fremden Ländern zu kaufen, so muss es auch eine, zwar nicht ganz so auffällige, doch durchaus ähnliche Albernheit sein, auf ein Gewerbe den dreißigsten oder auch nur den dreihundertsten Teil mehr an Kapital und Fleiß zu verwenden. Ob die Vorteile, welche ein Land vor dem anderen voraus hat, natürliche oder erworbene sind, kommt hierbei nicht in Betracht. Solange das eine Land diese Vorteile hat und das andere sie entbehrt, solange ist es auch für das letztere vorteilhafter, von dem ersteren zu kaufen, als selbst zu erzeugen. Der Vorteil, den ein Handwerker über seinen Nachbar hat, der ein anderes Handwerk treibt, ist nur ein erworbener, und doch finden es beide vorteilhafter, von einander zu kaufen, als Dinge zu verfertigen, die nicht zu ihrem Geschäft gehören.

Adam Smith: Viertes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie. S. 231-235. Berlin 1905.

Guido Rotermann, CC-BY 4.0